Feurige Rede für selbstbestimmte Geburten

Kommt in Mexiko ein Kind zur Welt, ist mit hoher Wahrscheinlichkeit keine Hebamme dabei und die Geburt endet oft in einem Kaiserschnitt. Anstatt Beratung und Betreuung erleben viele Frauen eher eine Art Abfertigung. Aber da gibt es einige, die sich für Veränderungen einsetzen.


In Mexiko gibt es nur eine Schule, die eine fundierte medizinische Hebammenausbildung anbietet. Daneben gibt es einige private Schulen mit Kursen in Geburtshilfe. Diese befassen sich eher mit der emotionalen Begleitung Gebärender, ähnlich einer Ausbildung zur Doula.

Geburtshilfe im mexikanischen Spitalalltag

In den öffentlichen Spitälern werden die Gebärenden von Pflegefachpersonen betreut, die daneben noch für eine ganze Station voll Patienten und Patientinnen zuständig sind und selten viel Erfahrung in Geburtshilfe mitbringen. Aber wie schon angetönt, ist „betreut“ wohl ohnehin das falsche Wort. Denn was ich bisher gehört habe werden die Frauen alleine gelassen und dürfen auch niemanden aus der Familie zur Geburt mitnehmen. Sie werden dazu angehalten, liegenzubleiben und ihr Bett nicht zu verlassen.

Kommt es zur Geburt, wird bei den meisten Frauen präventiv ein Dammschnitt durchgeführt. Aber bei der Hälfte der Frauen endet die Geburt ohnehin in einem Kaiserschnitt. Die Gebärmutter wird in der Längsachse aufgeschnitten und die Nähte die ich bisher gesehen habe sehen auch Wochen nach der Geburt noch fürchterlich aus. Nur in Privatkliniken kann frau verlangen, dass der Schnitt horizontal durchgeführt wird damit die Muskeln danach besser wieder zusammenwachsen können.

Ich habe zwei Pflegefachfrauen kennen gelernt, die in der hiesigen Frauenklinik arbeiten und an diesen Zuständen gerne etwas ändern möchten. In erster Linie geht es ihnen aber um die Art und Weise, wie mit den Frauen umgegangen wird. Sie sagten mir, dass sie sich für ihre Kolleginnen und Kollegen oder Arztpersonen schämen, so gehässig und grob würden diese die Frauen behandeln.

Vortrag für eine humane Geburtshilfe

Kürzlich begleitete ich meine beiden Hebammenkolleginnen, Nantzin und Mary, zu einem fachlichen Austausch in eines der städtischen Spitäler. Es handelte sich dabei nicht um die oben erwähnte Frauenklinik. Sie waren eingeladen, über das Yach’il Antzetic und über selbstbestimmte Geburten zu referieren.

Der Saal war rappelvoll, unter den Zuhörenden waren viele junge Pflegefachleute und vereinzelte Arztpersonen. Nantzin, die ihre Hebammenausbildung in den USA absolviert hat, referierte als Erste. Sie argumentierte sehr fachlich und unterlegte all ihre Aussagen mit aktuellen Studien oder Empfehlungen der Weltgesundheitsorganisation (WHO).

Danach zeigten wir einen Film über die Geburtsbegleitung im Yach’il Antzetic und über unsere Arbeit im Allgemeinen. Inzwischen fielen einigen im Publikum die Köpfe schwer auf die Brust, andere tuschelten – ich vermute nicht über Geburtshilfe.

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voller Hörsaal im Hospital de las Culturas

Und dann kam Mary

Sie liess ihre vorbereiteten Powerpointfolien links liegen und referierte spontan, feurig und berührend direkt in die Herzen des Publikums. Es war mucksmäuschenstill. Ich bewunderte sie. Sie, die indigene kleine unscheinbare Frau, manchmal etwas scheu und an ihrem Selbstwert zweifelnd, stand da und sprach entschieden über Frauenrechte.

Ähnlich wie die beiden Pflegefachfrauen aus der Frauenklinik forderte sie, dass man mit den gebärenden Frauen nicht länger so umgehen dürfe. Dass Frauen ein Recht darauf hätten, informiert zu werden und mitentscheiden zu können. Dass es sehr wohl darauf ankäme wie und unter welchen Umständen eine Frau ihr Kind zur Welt bringe. Dass dies eine Auswirkung habe auf das Kind, auf das Leben und den Selbstwert der Frau.

Und dass sie aus eigener Erfahrung spreche. Auch ihr habe man einfach so einen Kaiserschnitt verpasst, ohne zu erklären weshalb. Erst als sie nach dem ersten Kind Hebamme geworden sei habe sie begriffen, dass dies alles gar nicht nötig gewesen wäre. Ihr seien die Tränen gekommen ob dieser verpassten Möglichkeit.

Mary am Mikrofon
Mary am Mikrofon

Eine Geburtsgeschichte wie Mary können hier viele Frauen erzählen. In Mexiko kommt inzwischen jedes zweite Kind per Kaiserschnitt auf die Welt, was weltweit der höchsten Rate entspricht. Am anderen Ende der Statistik erscheinen die Niederlande mit 15% Kaiserschnitt-Geburten. Im Vergleich dazu: in der Schweiz sind es 33%. Die WHO geht davon aus, dass nur bei 15% der Geburten ein Kaiserschnitt notwendig ist. 2008 wurden gemäss WHO weltweit 6,2 Millionen unnötiger Kaiserschnitte durchgeführt. Dies würde einem Sparpotential von 2.3 Billionen US-Dollar entsprechen.

Aber es geht hier nicht primär ums Sparen und um Kaiserschnitte. Es geht vielmehr darum, dass es wichtig ist, wie wir geboren werden – um den Slogan des schweizerischen Hebammenverbandes zu zitieren. Es geht darum, dass Frauen in Gesundheitseinrichtungen nicht länger respektlos behandelt werden dürfen. Im September dieses Jahres veröffentlichte die WHO eine Erklärung mit genau dieser Forderung.

Empowerment live

Im Geburtshaus Yach’il Antzetic lässt sich oft das Gegenteil beobachten: Wie Frauen wachsen und ihre Stärke entfalten können in einem Umfeld, das ihnen wohlgesinnt ist und an sie glaubt. Und gerade hier, wo Frauen ein- und ausgehen die nicht auf der Sonnenseite dieser Welt leben, kann dies viel bewegen. Dieses Haus, in dem man ihnen zuhört, mit ihnen das Positive sucht auch in ausweglos scheinenden Situationen, ihnen zeigt dass sie wertvoll sind. Wo eine selbstbestimmte Geburt möglich ist und Frauen erfahren können, wie stark sie sind.

Der Film (in Spanisch, 20 Minuten) über das Geburtshaus Yach’il Antzetic kann hier geschaut werden. Die Angaben zu den Kaiserschnitt-Raten stammen aus einer Statistik der OECD aus dem Jahr 2013 und sind hier einsehbar. Die erwähnte Studie der WHO von 2010 findet sich hier und ihre Erklärung von 2014 hier

2 Gedanken zu „Feurige Rede für selbstbestimmte Geburten“

  1. wow, Schön das zu lesen. Solche Powerfrauen brauchen wir auch in der Schweiz. Spannend die Statistik zu den Kaiserschnitten und zu sehen, wo da die Schweiz steht. Schön von dir Julia zu lesen, da scheinst du einen lehrreichen, menschlichen und frauenstärkenden Ort für dein weiterkommen und sein als Hebamme gefunden zu haben. Und die Soz wirst du da bestimmt auch gut gebrauchen können. Liebe Grüsse Roseline

  2. Wow, Julia, ich bin einmal mehr begeistert!! Von deinen spannenden Berichten! Ich hänge dir an den Lippen und tauche sogleich ein in deine (und die mexikanische!) Welt, welche mich so sehr an die peruanische Welt, die ich vor 8 Jahren erleben durfte erinnert! Auch da hat die Frau einfach keine Rechte und einen schweren Stand! Wie wunderbar, solche Berichte wie diesen von der mutigen Mary, oder den der starken “Rosa” zu lesen!!! Vielen, lieben Dank für deine Zeit und die Möglichkeit mit dir “mitzuleben”! Du gute Hebamme, du.
    Hebs guet! Andrea

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