Als ich im Sommer ins Geburtshaus kam, lebten dort keine Schwangeren. Die Koordinatorin erzählte mir, dass sie bis vor zwei Jahren regelmässig Frauen hätten ablehnen müssen da das Haus voll war. Eines Morgens stellten wir bei einer Tasse Kaffee Mutmassungen über die mangelnde Auslastung an. Im selben Moment klingelte es an der Tür.
Eine junge Frau – im achten Monat schwanger – stand mit Sack und Pack da und bat um Hilfe. Gleichentags trat eine Frau ein, die schon seit längerem zu uns in die Schwangerschaftskontrollen kommt und Workshops besucht. Eine dritte lief per Zufall an unserem Haus vorbei, da sie in der Strasse selbstgemachte Tortillas verkauft um sich finanziell über Wasser zu halten. Auch sie erwartet ihr Kind in wenigen Wochen. So leben „de repente“ (urplötzlich) wieder drei Frauen und ein Kleinkind im Hogar und es herrscht reger Betrieb. Zwei weitere Eintritte erwarten wir demnächst.
Schichtbetrieb
Wir drei Hebammen wechseln uns fortan in der rund-um-die-Uhr-Betreuung der schwangeren Frauen ab. Das ergibt ziemlich lange und viele Schichten für jede von uns. Tatkräftig unterstützt werden wir durch Studentinnen, die im Yach’il Antzetic ein Volontariat absolvieren.
Während meinen Schichten erlebe ich immer wieder Erheiterndes. Beispielsweise als ich eine Frau in die Stadt begleitete, damit sie ihre Krankenkassenpolice auf den aktuellen Wohnort abändern kann. Das „Büro“ war eine Freiluftzentrale neben der Frauenklinik. Die Wartenden in der Schlange gaben sich gegenseitig Tipps bezüglich ihrer Formulare. Als wir von der Frau hinter dem Computer nach diversen Angaben gefragt wurden, halfen alle Umstehenden lautstark mit, die passende Antwort zu finden. Das war wirklich hilfreich! Denn beispielsweise konnte keine von uns beiden aufzählen, wie die Parallelstrassen zu „unserer“ Strasse heissen. Als Test habe ich versucht, ob ich es für meine Adresse in Luzern hinkriegen würde. Fehlanzeige – ich kam nur zwei Strassen weit.
Alltagsleben
Während die Frauen im Geburtshaus wohnen, ist der Tagesablauf ziemlich straff organisiert. Morgens um 7 Uhr wird geweckt, nach dem Duschen bereitet man gemeinsam das Frühstück vor und beginnt den Tag mit einer Befindlichkeitsrunde. Alle erzählen wie ihre Nacht war und was sie sich von diesem Tag erhoffen. Für Frauen, die möglicherweise noch nie wirklich gefragt wurden wie sie sich fühlen, kann diese Runde schon mal eine Herausforderung sein. Tagsüber werden Workshops durchgeführt. Auch ich kam in den Genuss, mehr oder weniger ad hoc Geburtsvorbereitungskurse und Stillworkshops zu leiten.
Mittags und Abends wird wieder gemeinsam gekocht. Der Menuplan ist exakt vorgeschrieben und von den Volontärinnen, die Ernährungswissenschaften studieren, als schwangerenkonform abgesegnet. Zwischen all diesen Aktivitäten waschen die Frauen ihre Kleider, spielen mit ihren grösseren Kindern, helfen beim Hausputz oder gehen auf den Markt einkaufen.
Nach dem Nachtessen findet erneut ein Austausch statt. Was habe ich heute gelernt? Was hat mir gut gefallen? Was beschäftigt mich? Was wünsche ich mir für mein zukünftiges Leben? Mit welchen Gedanken und Wünschen gehe ich in die Nacht?
Ich selbst gehe oft mit dem Gedanken an all die schwangeren Frauen in die Nacht und wünsche ihnen und mir, dass sie eine bestärkende und schöne Geburt erleben werden.