Es ist nicht so, dass im Geburtshaus Yach’il Antzetic unzählige Kinder pro Jahr zur Welt kommen. Doch in diesem Oktober erwarten gleich mehrere “unserer” Frauen ihr Baby. Noch vor Kurzem hatten wir gewitzelt, dass sicher einige dieser Geburten zusammenfallen werden. Und siehe da, diese Prophezeiung musste sich ja erfüllen: Ein kleiner Einblick, wie eine solche Nacht verlaufen kann.
Unerwarteter Nachtdienst
Eigentlich habe ich mich auf einen gemütlichen Abend und eine erholsame Nacht zu Hause gefreut. Für die Nachtschicht im Geburtshaus waren zwei Volontärinnen eingeteilt. Doch da sich zwei Frauen bereits in der Latenzphase ihrer Geburt befanden, wollten wir die Volontärinnen nicht alleine lassen. So packte ich meine sieben Sachen und machte mich auf den Weg.
Nur leichte Kontraktionen
Corina*, die im Geburtshaus wohnt und deren Geburtstermin schon zwei Wochen überfällig war, hatte bereits den ganzen Tag über leichte Kontraktionen. Sie konnte aber noch am Tagesprogramm teilnehmen, war in ausgelassener Stimmung und langte auch bei den Mahlzeiten kräftig zu.
Bei Franca* war geplant, dass sie zu Hause wohnt und nur für die Geburt ins Geburtshaus kommen wird. Sie erwartete ihr zweites Kind, wobei das erste vor 8 Jahren per Kaiserschnitt auf die Welt gekommen ist. Der Grund für den Kaiserschnitt ist im Nachhinein betrachtet fadenscheinig. Nachdem sie zwei Stunden leichte Wehen gehabt hatte, sagte man ihr, das Kind rutsche im Becken nicht nach unten und man holte es per Kaiserschnitt. Für ihren Körper würde es folglich wie eine erste Geburt werden. Auch sie informierte uns, dass sie bereits den ganzen Tag über leichte Kontraktionen verspüre.
Zuerst war es ruhig
Als ich im Geburtshaus ankam fand ich Corina nach wie vor in der Latenzphase vor, die Wehen waren sehr kurz und sie konnte nebenher noch schwatzen, SMS versenden und sich mit allerlei anderem beschäftigen. Franca liess ich vorbeikommen, damit ich mir ein Bild von ihrer Situation machen konnte. Bei ihr sah es etwa ähnlich aus und ich schickte sie wieder nach Hause. Meiner Kollegin sandte ich eine SMS, dass ich sie diese Nacht wohl nicht als Zweithebamme brauchen werde.
Ab Mitternacht ging’s los
Um ein Uhr nachts rief mich Franca an, dass die Wehen nun intensiver seien und sie doch gerne wieder ins Geburtshaus kommen möchte. Ich rollte meinen Schlafsack zusammen und bereitete das Geburtszimmer vor. Kaum war Franca in Begleitung ihrer Mutter eingetroffen, ging es auch bei Corina los und sie kam an ihre Grenzen. Die Bebés schienen sich abgesprochen zu haben. Ich musste Corina in die Obhut der beiden Volontärinnen geben, da Franca meine volle Präsenz forderte. Die beiden Studentinnen in Ernährungswissenschaften spazierten mit Corina im Hof rum und taten ihr Bestes um ihr beizustehen.
Keine Zeit für warmes Wasser
Eigentlich hätte Franca sich eine Wassergeburt gewünscht. Die Inbetriebnahme des Boilers ist jedoch recht abenteuerlich und erfordert Geschick und Zeit. Zeit, die uns gar nicht mehr blieb. Kaum im Geburtshaus, sagte mir Franca, sie verspüre Pressdrang. Ich untersuchte sie und tatsächlich, der Muttermund war bereits vollständig eröffnet. Jedoch war der Kopf des Kindes noch sehr weit oben zu tasten. Während dem Untersuchen sprang Francas Fruchtblase und ihr Baby kam wie auf einer Rutschbahn in einem Weh tiefer. Es blieb mir gerade noch Zeit, eine der Volontärinnen zu rufen sie möge die Zweithebamme anrufen, und schon drängte das Kind auf die Welt. Wie so oft kam es anders als geplant, aber es ging schnell und alle waren glücklich.
Schnelle Rochade
Kurze Zeit später traf die zweite Hebamme ein, für die Geburt von Francas Tochter hatte es ihr natürlich nicht mehr gereicht. Ich war froh, dass sich endlich eine Hebamme um Corina kümmern konnte. Denn noch war ich mit der Placentageburt bei Franca beschäftigt. Nachdem auch diese geboren war, gab es eine kurze Rochade. Wir zügelten Franca mit ihrem Töchterchen ins Vorzimmer des Geburtsraumes. Dort wartete bereits Corina, die ihre Wehen inzwischen mehr schlecht als recht ertrug. Die beiden Frauen kannten sich aus den Geburtsvorbereitungskursen und so war die fehlende Privatsphäre kein Problem. Im Gegenteil, es herrschte eine schöne und feierliche Stimmung in dieser grossen Frauen-Geburtsgruppe: Franca mit neugeborener Tochter, Francas Mutter, Corina in den Wehen, zwei Volontärinnen und zwei Hebammen. Nach einem kurzen Putz im Geburtszimmer hatte auch Corina endlich ihren Raum.
Ruhe im Sturm
Was ich sehr genoss, war die Ruhe in der ganzen Situation. Auch wenn es faktisch viel gleichzeitig zu tun gab, so war es doch schön, dass ich mich ganz dem Geburtsgeschehen widmen konnte. Ohne unzählige Geräte und Material um uns herum. Und da wir beide Frauen schon seit ihrer Schwangerschaft kannten, gab es auch kein langes Aufnahmeprocedere.
Diesmal nach Plan
Corina hat mir mehrmals ihren Wunsch erzählt, ihr Kind möge in der “madrugada” (im Morgengrauen) zur Welt kommen. Ich ahnte, dass ihr Wunsch sich erfüllen wird. Inzwischen war auch der Boiler aufgeheizt und Corina konnte sich in der Badwanne entspannen. Im Gegensatz zu Franca war sie sehr skeptisch gegenüber Wassergeburten und rechnete wohl nicht damit, dass ihr Kind im Wasser auf die Welt kommen wird.
Es dauerte noch ein Weilchen, aber auch Corina überraschte für eine Erstgebärende mit ihrer Schnelligkeit. Und wirklich, mit dem ersten Morgenlicht kam Corinas Sohn zur Welt. Franca und ihre Mutter bekamen im Vorzimmer natürlich alles mit und waren ebenfalls erleichtert, dass es nun auch Corina geschafft hatte.
Was ein Ultraschallbild bewirken kann
Zu sehen, wie Corina ihren Sohn in die Arme nimmt und strahlt, war für mich besonders rührend. Denn vor einigen Monaten lief die 19-jährige quasi vom Operationstisch einer Abtreibungsklinik davon, da sie ihre Meinung im letzten Moment geändert hatte. Als sie im Ultraschall ihr Kind gesehen hatte, schwindelte sie den Ärzten vor, das nötige Geld nun doch nicht aufbringen zu können (170.- Franken).
Am Morgen kehrt Ruhe ein
Mit dem Tageserwachen nahm der gewohnte Rhythmus des Geburtshauses seinen Lauf. Die beiden anderen schwangeren Frauen, die im Geburtshaus leben, bereiteten für alle ein Frühstück vor. Die restlichen Volontärinnen und die Hebamme von der Tagesschicht trudelten ein. Es wurde koordiniert und organisiert, das ganze Haus drehte sich ein bisschen um diese beiden Frauen und ihre neu geborenen Kinder.
Bräuche und Mythen
Und auch diesmal wurde den Wöchnerinnen wieder der hier hochgelobte Powerdrink serviert. Frische Früchte, gemixt mit viel Honig und Stückchen aus ihrer eigenen Placenta. Franca hat mich im Geburtsvorbereitungskurs gebeten, ich solle ihr dann bitte nicht sagen, dass ich in ihren Drink Placentastücke gemixt habe. Ich glaube, sie hat es trotzdem geahnt.
Die Mutter von Franca hatte grosse Bedenken, als ich mit ihrer Tochter, der frischen Wöchnerin, aufstehen wollte um zur Toilette zu gehen. Sie meinte, man müsse doch zuerst deren Bauch einbinden, sonst würde dieser nie mehr „gut“ werden. Hier ist es verbreitet, dass sich die Wöchnerinnen mit ihren Stoffgurten einschnüren. Oder es bindet ihnen die Hebamme mit breiten elastischen Binden den Bauch ein. Auch meine Hebammenkollegin wendet diese Technik an. Aber es muss ja nicht gleich vor dem ersten Toilettengang sein.
Beim Abnabeln der Kinder lasse ich mir hier gerne noch helfen. Es gibt verschiedene Bräuche, wie lange der Nabelschnurrest sein soll, respektive wo genau das Nabelschnurbändchen angebracht werden soll. Diesmal waren es drei Fingerbreiten beim einen und vier Fingerbreiten beim anderen Kind. Wann welche Breite anzuwenden ist, habe ich noch nicht so ganz erfasst. Und ich glaube, nicht nur mir geht es so. Denn als die dritte Hebamme am Morgen auf den Dienst kam, schnitt sie als Erstes den Nabelschnurrest vom einen Kind noch ein bisschen kürzer. Meine Hebammenkolleginnen scheinen sich also auch nicht ganz einig zu sein…
Für mich gibt es noch vieles zu entdecken, denn nicht nur die Länge des Nabelschnurrestes erscheint mir geheimnisvoll…
* Namen geändert