Vor zwei Wochen wurde ich zu meinem ersten Temazcal eingeladen. Wer jetzt an Mezcal-Schnaps und Trinkspiele denkt, liegt falsch. Temazcal ist eine Art Dampfbad oder Sauna der indigenen Bevölkerung. Aber es ist mehr als das. Es stellt auch eine Gebärmutter dar und der Saunagang ist fast wie ein Gottesdienst, nur viel länger…
Die Schwitzhütten oder eben Temazcales sind in vielen Kulturen Mittelamerikas zu finden. Deren Bauweise und die damit verknüpften Rituale sind unterschiedlich. Das Temazcal, welches ich besucht habe, sah aus wie ein Iglu aus Lehm, das mit dicken Tüchern und Matten bedeckt war. Der Eingang war eine kleine Öffnung, durch die man hinein und hinaus kriechen musste.
Mehr als Wellness
Mit dem Temazcal sind wichtige Zeremonien verknüpft. Ein Besuch läuft nach bestimmten Regeln ab. Es gibt eine Temazcalmeisterin, welche durch das Ritual führt und eine oder mehrere FeuermeisterInnen, die für das Aufheizen der Steine zuständig sind. Unsere Zeremonienmeisterin stammte aus Guatemala. Laut ihr stellt das Temazcal eine Art Gebärmutter dar, in die man zurückgeht um nach der Zeremonie erneut daraus geboren zu werden. Als Hebamme gefiel mir dieser Aspekt natürlich besonders gut.
Zurück in die Gebärmutter
Zu Beginn standen wir alle um das Temazcal herum und erhielten eine kurze Einführung. Ich war nicht die einzige „Neue“. Etwas Tabak wurde herumgereicht. Diesen mussten wir ins Feuer werfen um symbolisch etwas loszulassen in unserem Leben.
Danach reinigte der Feuermeister jede von uns mit einer Art Weihrauch, bevor wir das Temazcal betreten durften. Drinnen wies uns die Meisterin unsere Plätze zu. Ich als Frischling bekam einen der unteren Plätze, wo es weniger heiss wird. Es war fast so eng wie in einem der Minibusse, die hier den öffentlichen Nahverkehr sicherstellen. Erstaunlich, wie viele Menschen in der kleinen Hütte Platz fanden.
Ritual, Medizin und Geburtsvorbereitung
Das Schwitzen im Temazcal ist Ritual und Therapie zugleich. Je nach Therapieziel ändern Hitze, Feuchtigkeit und auch die Heilkräuter, welche man sich um den Körper schlägt. Auch in der Geburtshilfe ist das Temazcal beliebt. Beschwerden in der Schwangerschaft können mit dem Gang ins Temazcal therapiert werden. Während der Geburt ziehen sich Frauen ins Temazcal zurück, der heisse Dampf unterstützt den Geburtsvorgang. Und es gibt Wöchnerinnen, die täglich im Temazcal schwitzen. Dies alles ist wohl nur für Frauen empfehlenswert, die sich diese Hitze und Feuchtigkeit bereits gewohnt sind.
Begrüssung der Grossmütterchen
Damit sich die Hitze im Innern der Hütte entwickeln kann, braucht es heisse Steine. Diese werden stundenlang im Feuer erhitzt und kommen dann in ein Erdloch in der Mitte des Temazcals. Sie stellen die Ahninnen dar.
Unser Feuermeister reichte die rotglühenden Steine mit einer Art Mistgabel in die Hütte. Ich war jedes Mal froh, dass sich niemand die Beine verbrannte. Jede der „abuelitas“ (Grossmütterchen) hatte eine andere Bedeutung und wurde von allen im Chor begrüsst. Nachdem sieben Steine in der Hütte waren, schloss der Feuermeister die Türe und es war stockdunkel.
Trommeln, Schwitzen und Singen
Die Zeremonienmeisterin goss Wasser über die „abuelitas“ und es wurde immer wärmer und feuchter in der Gebärmutter. Wenn jemand etwas sagen wollte, fragte man die ganze Gruppe um Erlaubnis. Es meldeten sich viele zu Wort um einen Gedanken mit allen zu teilen oder um ein Lied anzustimmen. Gesungen wurde auf Spanisch oder in einer der unzähligen Stammessprachen, die in Chiapas und im angrenzenden Guatemala gesprochen werden. Zwei Trommeln begleiteten die Gesänge. Ein Bündel von Rosmarinzweigen machte die Runde, damit man sich dieses um den Körper schlagen konnte um den Kreislauf etwas in Schwung zu bringen. Es war aber dermassen eng, dass wir uns damit begnügen mussten, am Rosmarin zu riechen. Bewegen konnte frau sich kaum.
Die Pforte
Nach einer gewissen Zeit war die erste Runde des Schwitzens vorbei und alle riefen „¡puerta, por favor!“. Die draussen postierten Feuermeister öffneten die Matten vor dem Eingang und etwas Licht und Luft strömten ins Temazcal. Wer die Hütte verlassen wollte, hatte jetzt Gelegenheit dazu. Bevor erneut sieben „abuelitas“ hereingereicht wurden und es wieder dunkel wurde.
Ein Temazcal dauert vier Runden – vier „puertas“. Jede Etappe stellt unter anderem eine Phase unseres Lebens dar. Die erste Pforte symbolisiert unser Leben von Geburt bis 13 Jahre, die zweite „puerta“ die Phase zwischen 13 und 26 Jahren.
Die Wiedergeburt
Nach 26 Jahren oder eben zwei „puertas“ fragte ich um Erlaubnis, das Temazcal verlassen zu dürfen. Ich fühlte mich durchgeschwitzt aber gut und wollte meinen Kreislauf nicht gleich beim ersten Mal auf die Probe stellen. Nachdem mir die Meisterin noch Anweisungen gegeben hatte, was ich draussen zu tun hätte, kroch ich aus der Gebärmutter heraus ins Freie. Und wieder reichten mir die Feuermeister etwas Tabak, an dem ich roch um nicht umzukippen.
Warten auf die anderen “Babys”
Ich war nicht die einzige, die nach eineinhalb Stunden die Schwitzhütte verlassen hatte. Aber die Mehrheit blieb geschlagene vier „puertas“ oder drei Stunden drin und ich sass mit den anderen draussen am Feuer um auf sie zu warten. Als die vierte Pforte dann geöffnet wurde, war es wirklich wie bei Geburten. Die einen kamen rausgekrochen und schauten sich munter um. Die anderen sahen doch eher etwas mitgenommen aus und brauchten zuerst ein Weilchen, bis sie wieder ganz „da“ waren.
Früchte für alle und für Mutter Erde
Danach assen wir gereinigt und glücklich die Früchte, die alle mitgenommen hatten. Ein Teil der Früchte wurde für Mutter Erde ins Feuer geworfen. Für mich war es eine Ehre und ein Erlebnis, zu diesem Temazcal eingeladen worden zu sein. Ich hoffe, es bieten sich noch andere Gelegenheiten.