Von Oaxaca aus gings auf eine Reise ins Paradies. Nach Santiago Apoala, wo sich nach der Vorstellung der Mixteken der Ursprungsort der Menschheit befindet. Den Baum des Lebens haben wir nicht gefunden, dafür aber eine eindrücklich grosse Schlange.
Die Reise ins Paradies beginnt ca. 100 Kilometer nordöstlich von Oaxaca Stadt. Die Strasse in die Sierra Mixteca führt zunächst über holprige Pisten durch staubiges und trockenes Land. In der Regenzeit soll hier alles grün sein. Aber jetzt im Januar fragt man sich, wovon die Leute leben. Früher gab es hier Wald, doch durch Abholzung und Erosion hat sich das einst fruchtbare Land in eine Halbwüste verwandelt.
In einer anderen Zeit
Zuerst wandern wir durch ein Dorf wie aus einem Bilderbuch über Mexiko. Überall hat es Kakteen, an jeder Ecke treffen wir auf einen angebundenen Esel und auf den Feldern winken uns Bauern mit Strohhüten, die mit Ochsengespann den steinigen Boden pflügen. Szenerien wie in einem Segantini-Bild. Es fehlt eigentlich nur noch das Geräusch einer Klapperschlange, aber darauf können wir gerne verzichten. Am Wegesrand begegnen wir blumengeschmückten Kreuzen – ein Zeichen dafür, dass es hier Wasser gibt und der Ort deshalb heilig ist.
Wir folgen einem Fluss, der jetzt in der Trockenzeit nur ein keines Rinnsal ist. Trotz der Hitze und Trockenheit ist die Natur voller Leben. Es gibt allerlei Blumen und Vögel. Wir entdecken klitzekleine Kakteen und wandern an riesigen Agaven vorbei immer tiefer ins Tal, bis wir vor einer wunderschönen, tiefen Schlucht stehen.
Im Garten Eden
Kaum ist die Schlucht durchquert, folgt eine nächste. Und dann stehen wir da, im Paradies. Das Flüsschen führt uns auf eine fruchtbare und grüne Ebene zwischen zwei hohen Klippen. Im Dorf können wir unsere Hütten für die Nacht beziehen, die überraschenderweise sehr komfortabel und mit einem Badezimmer versehen sind. Sie gehören der lokalen mixtekischen Gemeinschaft, die in einer Kooperative den Ecotourismus in dieser Gegend kontrolliert.
Arbeitsteilung im Paradies
Jedes Mitglied der Mixteken wird in seinem Leben ein oder mehrere Male ein volles Jahr für Gemeindearbeiten aufgeboten. So wechseln jährlich der Polizist, der Wasserverantwortliche, der Gemeindepräsident usw., bis alle einmal alles gemacht haben. Mithelfen müssen alle zwischen 16 und 60 Jahren, die Frauen jedoch nur, bis sie verheiratet sind. Dies nennt sich Cargo-System und ist oft mehr eine Bürde als eine Würde, denn irgendwie muss die Familie (meist die Frau) nebenbei auch noch die Felder bearbeiten und alle ernähren. Bestimmt aber verhindert es die Korruption. Wir haben Glück, denn auch im Gemeinderestaurant wechselt die Köchin jährlich und die aktuelle ist ebenso talentiert wie witzig. Und bei einer alten Señora um die Ecke gibt es auch einen Kühlschrank voller Bier. Alles andere hätte unseren Eindruck vom Paradies doch sehr getrübt.
Eine Comic-Bibel
Aber warum schreiben wir hier vom Paradies? Laut der mixtekischen Mythologie stand in Apoala nämlich der Baum des Lebens. In einer beeindruckenden Bilderschrift, die aussieht wie ein fantasievoller Comic, haben die Mixteken ihre Geschichte und Mythologie niedergeschrieben. Leider haben nur wenige dieser Schriftstücke die spanische Eroberung überlebt. Die wenigen Codices Mixtecas befinden sich heute allesamt in europäischen Nationalbibliotheken.
Nabel der Menschheit
Der Fluss, dem wir entlangwandern, ist in dieser Mythologie eine Schlange. Den Kopf haben wir glücklicherweise bereits passiert. Er befindet sich in einer Höhle mit einem unterirdischen See vor den beiden Schluchten. Der Schwanz ist ein Wasserfall etwas unterhalb des Dorfes. An diesem Fluss stand gemäss den Mixteken der Baum des Lebens. Aus seinen Früchten, die in den Fluss fielen und von ihm in die Welt hinausgetragen wurden, entstand die Menschheit.
Das Erstaunliche an diesem Schöpfungsmythos ist, dass hier die gleichen Elemente wie in der Bibel vorkommen: Baum, Frucht, Schlange. Aber vielleicht ist das Ganze auch nur eine europäische Interpretation. Wie auch immer. Dem Ort werden magische Kräfte nachgesagt und deshalb zieht er auch Esoteriker an. Auf alle Fälle ist das eine Ruhe hier. Es gibt keinen Handyempfang und abgesehen von ein paar übriggebliebenen Weihnachtsdekorationen auch keine Lichtverschmutzung. Wir haben wunderbar geschlafen.
Der Schlangenschwanz
Am nächsten Tag gehen wir am Fluss oder der Schlange entlang weiter. Am Ende der Ebene folgt eine weitere Klippe, über die wir hinuntersteigen, bis wir zu einem, jetzt aber im Ernst, paradiesischen Wasserfall kommen. Wir können es nicht lassen, uns bei diesem „Schwanz der Schlange“ in die Lagune zu stürzen. Leider haben wir den Baum des Lebens nicht gefunden, der wurde wahrscheinlich in den letzten Jahrhunderten auch gleich mit abgeholzt. Aber man kann sich immernoch gut vorstellen, weshalb die Mixteken sich diesen Ort als den Ursprung des Lebens ausgesucht haben. Die Natur ist überwältigend und wir kommen neugeboren aus diesem wunderschönen Flecken Erde zurück nach Oaxaca.
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Organisiert wurde die Tour von Tierraventura in Oaxaca
Ihr erlebt ja Sachen! Hab mir grad überlegt, dass ich froh bin, dass das Cargo-System bei uns nicht gilt. Gemeindepräsident wäre ich ja gerne einmal, aber Polizist?!
Wann kommt ihr eigentlich wieder zurück. Hab geträumt, ihr seid schon wieder da…
Übrigens: habt ihr euer Häuschen in San Cristobal eigentlich schon abgegeben? Dort wartet nämlich noch ein Brief auf euch.
Herzliche Grüsse, Ralph